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Aufbruch in die digitale Kommunikation

Aufbruch in die digitale Kommunikation – Verwaltung muss verständlich werden.

Sprache und visuelle Gestaltung schaffen Zugang zu Verwaltungsdiensten oder können diesen im schlimmsten Fall verhindern. Studierende der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin decken Fallstricke auf und erarbeiten Lösungsvorschläge.

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Prof. Daniela Hensel ist Designerin und forscht zum Thema Service Design und Bürgerkommunikation . Nach ihrem Studium startete sie ihre Berufstätigkeit bei der renommierten Agentur MetaDesign. Als sie ihrem Ruf an die HTW Berlin folgte, war sie von da an auch Teil des Hochschul-Verwaltungsapparates und erlebte die Anfänge als Kulturschock. Statt sich dem Bürokratie-Rhythmus zu ergeben, begann sie sich mit Verwaltungsprozessen und -kommunikation aus fachlicher Sicht zu beschäftigen. Als Leiterin der Agentur-Unit why does robin berät sie seit Jahren die Deutsche Bahn zum Thema Kundenservice.

Gleiches Recht – unterschiedlicher Ertrag

12 Studierende des Studiengangs Kommunikationsdesign untersuchten im Sommersemester 2020 mögliche Ursachen für die geringe Beantragungsquote von Leistungen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes (BuT). Hierbei geht es um die Möglichkeit, dass auch Kinder aus finanziell benachteiligten Hauhalten z. B. an Klassenfahrten teilnehmen oder Sportangebote in Vereinen wahrnehmen können. Laut einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes liegt die höchste Beantragungsquote für das Bundesland Schleswig-Holstein bei 46,6% und Berlin auf Platz 11 mit 10,0%. Die gesetzliche Grundlage ist überall die gleiche, aber die Quoten fallen sehr unterschiedlich aus. Selbst nebeneinanderliegende Landkreise, wie Nordfriesland (94,8%) und Schleswig-Flensburg (9,1%) erreichen sehr unterschiedliche Ergebnisse. Ein Anruf in Nordfriesland (wer Sehnsucht nach dem Meer hat, sollte sich in die Warteschleife begeben!) legt eine Erfolgsformel nahe: Politischer Wille mal Kommunikation plus Vernetzung. In diesem Landkreis wurde eine neue Stelle eingerichtet, welche die Aufgabe hat, Multiplikatoren von den Fördermöglichkeiten zu berichten, Pädagogen, Sozialarbeiter und Verwaltungsmitarbeiter zu schulen und wo immer sich die Gelegenheit bietet, für das Bildungs- und Teilhabepaket zu werben. Im Gespräch wurde immer wieder auf die stark ländlich geprägte Struktur hingewiesen. Jede/r kennt jede/n und genau dies wurde genutzt. In Berlin sieht die Situation natürlich anders aus, was zu der folgenden Frage führt: Darf es einen Unterschied machen, in welchem Bundesland ein Kind wohnt, das Anspruch auf Unterstützung hat?

Die Studierenden starteten das Semester damit, sich in die Rolle eines/r möglichen AntragstellerIn zu begeben, und versuchten, bedingt durch die Corona-Situation, von zu Hause aus an alle möglichen Informationen zu gelangen, wie sie nun Unterstützung für die Schulausstattung, das Mittagsessen oder den Gesangsverein bekommen können. Von Woche zu Woche waren die Studierenden frustrierter, denn umso mehr sie versuchten, an Informationen zu gelangen, umso verwirrter wurden sie. In Berlin sind 36 Leistungsstellen für das BuT zuständig. Jede Leistungsstelle bietet Informationen darüber im Internet an. Diese sind mitunter widersprüchlich und/oder nicht auf dem neuesten Stand. So mancher Anruf bei den Leistungsstellen war hilfreich, so mancher jedoch auch nicht. Auskünfte waren zum Teil unvollständig, widersprüchlich oder falsch.

Eine Studierendengruppe gab einer Testperson die Aufgabe,herauszubekommen, wie ein kostenloses Mittagessen für eine OberschülerIn beantragt werden kann. Für Hamburg gab es nur eine zentrale Webseite. Die Testperson konnte die Frage in kurzer Zeit beantworten, da alle Informationen übersichtlich aufbereitet waren. Für Berlin tat sich die Testperson aufgrund der vielen Webseiten und der Fülle an Informationen deutlich schwerer und konnte auch nach längerer Suche die Frage nicht beantworten. Ein Grund für die große Anzahl an Webseiten ist die große Anzahl an Leistungsstellen, die in Berlin für das BuT zuständig sind. Aufgrund intensiver Recherchen und Interviews mit VerwaltungsmitarbeiterInnen entwickelte eine Studentin eine Übersicht aller Leistungsstellen, der gesetzlichen Grundlagen und Förderungsangebote in Form eines Fahrplanes. Hier wird klar, wie komplex dieses System sowohl für die Verwaltung wie auch für AntragstellerInnen ist:

Abbildung1: Berliner »Fahrplan« für das Bildungs- und Teilhabepaket, Fanni Florian, HTW Berlin[1]

»Wer wünscht sich denn einen Ablehungsbescheid?«

Eine andere Studentin beschäftigte sich mit dem Thema Sprache und Diskriminierung. Sie wählte einen Textbaustein aus und befragte 67 Menschen, wie lange sie benötigen, um diesen zu verstehen:

Abbildung 2: Sprachliche Analyse von Felicitas Püls, HTW Berlin im Rahmen des Projektkurses zum Thema Bildung und Teilhabe.

Die durchschnittliche Lesedauer beträgt 18 Sekunden, verstanden hatten die Leser den Text jedoch erst nach der 8-fachen Zeit. 10% haben ihn gar nicht verstanden. Die Studentin stellte bei ihrer Analyse weiterer Texte folgende sprachliche Muster fest:

  • Nachlässige Ausdruckweise:

    z. B. «Falls die Antragssteller einen Ablehnungsbescheid wünschen (…)« Niemand wünscht sich eine Ablehnung, unter Umständen wird ein Bescheid benötigt.

  • Einschüchternder Sprache:

    z.B. »(…) Darstellung des Sachverhalts einschließlich Beweismittel (…)« Diese Formulierung kennt man eher aus dem Strafrecht und wirkt daher bedrohlich.

  • Zielgruppenunspezifische Inhalte:

    Amtliche Mitteilungen richten sich an unterschiedliche Zielgruppen, wie VerwaltungsmitarbeiterInnen, LehrerInnen und Eltern, wodurch sie für alle sehr mühsam zu verstehen sind.

  • Diskriminierende Ausdrucksweise:

    Der häufig verwendete Ausdruck »sozial schwach« ist negativ belegt und baut bei den Betroffenen eine Barriere auf.

  • Unverständlichkeit:

    Lange Schachtelsätze, Fachvokabular, inkonsistenter Einsatz von Begriffen ( z. B. »Bewilligungsstelle« und »Leistungsstelle« ) und unpersönliche und inaktive Ansprache erschweren die Verständlichkeit.

Kognitive Leichtigkeit durch gute Laune und Mühelosigkeit

Wagen wir einen Ausflug in die Welt der Services in der Privatwirtschaft. Als KundInnen verbringen wir immer mehr Zeit mit der Bewältigung von Tätigkeiten, die früher Bankangestellte, Versicherungsfachkräfte und HandwerkerInnen erledigt haben. Die Produkte sind zunehmend ähnlich, aber die Qualität der digitalen und analogen Services ist zunehmend ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. Eine Geldüberweisung kann einige Minuten mit voller Konzentration in Anspruch nehmen («Nicht jetzt! Ich muss noch die Überweisung fertig machen!«) oder per Spracheingabe auf dem Weg zur Arbeit in wenigen Sekunden erledigt werden. Unternehmen verstehen mehr und mehr, sowohl sprachlich wie auch technisch, sich in die Lebenswelt ihrer Kunden zu integrieren. Dabei wenden sie das «Prinzip der Mühelosigkeit« an. So kümmern sich Versicherungen um die Details (zumindest sagen sie es) und bei Ikea geht es per «Du« in fünf Schritten zur eigenen Küche.

Abbildung 3: Wahrnehmungsvergleich zum Thema Zugänglichkeit am Beispiel der Ikea-Webseite »In fünf Schritten zu Deiner Ikea-Küche« und einer Webseite zum Bildungs- und Teilhabepaket. Ikea Webseite (oben), Webseite Senatsverwaltung Berlin (unten).

 

Der Psychologe und Nobelpreisträger Kahnemann konnte in mehreren Studien nachweisen, dass eine klare Darstellung und gute Laune eher zu einem Gefühl der Leichtigkeit führen und dadurch etwas als gut, vertraut und mühelos empfunden wird. Verwaltung wird genau als das Gegenteil empfunden. Die Studentin fragte die Personen, die die Textverständlichkeit prüften, auch nach deren Wahrnehmung der Verwaltungssprache.

 

Abbildung 4: Ergebnis der Umfrage (offene Frage) von Felicitas Püls im Rahmen des Projektkurses zum Thema Bildung und Teilhabe.

Nun ist diese Umfrage nicht repräsentativ, aber wir können davon ausgehen, dass der Spagat der Wahrnehmung zwischen privatwirtschaftlichen Services und denen der Verwaltung tagtäglich größer wird. Öffentliche Ausschreibungen für die Digitalisierung von Services, die heute stattfinden, werden bereits bei der Fertigstellung der Services als überholt empfunden. Die Sprache der Unternehmen sucht die Augenhöhe ihrer KundInnen (»Hey« und »Schön, dass Du wieder hier bist!«), die der Verwaltung wird als kompliziert und von oben herab empfunden (»(…) ist dem Erfordernis der Beantragung (§ 37 Abs. 1 SGB II) genüge getan«). Dabei gibt es durchaus hilfreiche Seiten, die zeigen, wie Behörden leichter verständlich formulieren können und Leitbilder, in denen sie unter anderem festhalten, Verwaltung für alle zugänglich machen zu wollen.

Im Verwaltungsalltag findet jedoch das Thema Verständlichkeit und Zugänglichkeit keinen Platz. Es ist weder ein fester Meilenstein in den Prozessen, noch sind personelle Ressourcen für dieses Thema vorgesehen. Ein Formular oder ein Mitteilungsblatt verlässt den Schreibtisch eines Sachbearbeiters nicht ohne juristische Prüfung. Eine Prüfung auf Verständlichkeit hingegen ist oft nicht vorgesehen und hierbei ist nur eine allgemeine Verständlichkeit gemeint. Die seit dem 1. Januar 2018 geltende Vorschrift auch leichte Sprache zu verwenden findet im behördlichen Alltag noch weniger Anwendung. Barrieren zwischen Ämtern und ihren BürgerInnen bleiben somit erhalten. Das macht sprachlos.

Verwaltung ist anders – aber wie?

Es gibt durchaus auch mehr und mehr positive Beispiele aus der Verwaltung. Mithilfe des Preises für gute Verwaltung werden seit 2019 herausragende Beispiele aus der deutschsprachigen Verwaltung gesammelt. Hier zeigt sich, dass neu überarbeitete Dienste auch mithilfe von Sprache und mit Wirkung in visueller Hinsicht (wir erinnern uns an die gute Laune von Herrn Kahnemann) eine bessere Zugänglichkeit erreichen. Bei einer Einreichung der Stadt Hamburg, wo gemeinsam mit Dataport eine App für werdende Eltern entwickelt wurde, wurden Themen rund um die Schwangerschaft mit behördlichen Themen verknüpft. Werdende Eltern werden so nicht nur an ihre Untersuchungen erinnert, sondern auch daran, rechtzeitig Anträge z.B. für das Elterngeld zu stellen. Auch nach der Geburt erinnert die App an Vorsorgeuntersuchungen und hält Checklisten bereit. Interessant sind hier die Leichtigkeit, mit denen die Themen vermittelt werden, die sehr zugewandte Sprache (es wird sogar gedutzt!) und die übersichtliche Struktur. Verwaltungsprozesse als notwendiges Übel werden hier in den erwartungsfrohen Alltag der NutzerInnen integriert und erscheinen so deutlich handhabbarer.

Abbildung 5: Das Hansebaby-Angebot der Stadt Hamburg.

Verwaltung braucht darüber hinaus ein einheitliches Verständnis bzgl. ihrer Servicepersönlichkeit. Mal hü und mal hott verunsichert BürgerInnen. Verwaltung muss berechenbar sein. Verwaltung ist aber auch kein BFF (Best Friend Forever), kann aber durchaus eine zugewandte Partnerin sein, die ihren BürgerInnen grundsätzlich vertraut und Bürokratie als wichtiges Instrument der Gerechtigkeit versteht (siehe auch Max Webers Bürokratieansatz).

Wie ging es mit dem Semesterprojekt »Bildung und Teilhabe« weiter? Eine Gruppe von vier Studierenden stieß im Verlauf des Semesters auf die Studie »Passgenau?« der Heinrich-Böll-Stiftung, die untersucht, inwieweit Geld-Kartensysteme Abhilfe schaffen können und das Potenzial haben, die Nutzung der bestehenden BuT-Leistungen zu vereinfachen, sie sinnvoll zu ergänzen und auszubauen. Den Studierenden wurde klar, wie sehr das Kartensystem den Beantragungsprozess für Eltern vereinfachen würde. Basierend auf dieser Idee entwickelten sie das Konzept des »Zukunftskontos«. Jedes Kind hat hier per Chipkarte einen Zugang zum eigenen Zukunftskonto. Dort kann es eigenständig eine Fußball-Mitgliedschaft auswählen, einen Besuch im Museum oder Mittagessen in der Schule buchen und bezahlen. Das funktioniert mit der Unterstützung vom BuT durch den Geldtransfer der Leistungsstelle – oder mit dem Geld von Eltern, die zwar nicht leistungsberechtigt sind, aber den finanziellen Zuschuss gerne zweckgebunden verschenken möchten und so die Zukunftskarte des Kindes aufladen können. Diese Zukunftskarte stigmatisiert so seine NutzerInnen nicht mehr, da eine staatliche Zuwendung von außen nicht zu erkennen ist. Gleichzeitig animiert sie auch Kinder ohne staatliche Förderung dazu, mehr kulturelle und sportliche Teilhabe zu erleben. Kulturelle, schulische und sportliche Angebote können sich auf der App- und Webplattform integrieren und sind so schnell auffindbar.

Die Studierenden entwickelten unterschiedliche Medien, die sowohl in sprachlicher als auch in visueller Tonalität Kinder, Jugendliche und ihre Eltern gleichermaßen ermuntern, sich mit dem Thema BuT zu beschäftigen. So wird ein ehemals stigmatisierter, komplexer Verwaltungsvorgang zu einem Angebot, an dem man gerne teilhaben möchte.

Abbildung 6: Ein Konzept für die barrierearme Beantragung von BuT, von Senya Novosel-Pejovski, India Jahnke, Tanita Hill und Felix Oswald.

Aufgrund der Erkenntnisse nahm die Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales bereits erste Änderungen an ihrer Webseite vor. Mit dem Bezirksamt Pankow und dem CityLab Berlin sind wir im Austausch, um eine erste Maßnahme zum Thema »Verständlichere Sprache« durchzuführen. Das Konzept ZuKa wird zurzeit einem erweiterten Kreis von Verantwortlichen vorgestellt. Beim Creative Bureaucracy Festival konnten wir unser Projekt einer breiten Öffentlichkeit vorstellen.
 


[1] »§ 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2« bezieht sich auf das SGB II.


Veröffentlicht: 27.10.2020