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Jetzt wird es amtlich! – Kreativwirtschaftliche Methoden für die Verwaltung

Jetzt wird es amtlich! – Kreativwirtschaftliche Methoden für die Verwaltung

von Franziska Lindner, Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Kultur- und Kreativwirtschaft kann Bildung reformieren, Ökologie revolutionieren und Digitalisierung humanisieren. Wieso also nicht über Veränderungsprozesse in der Verwaltung nachdenken? Das Amt für unlösbare Aufgaben des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes zeigt, dass das geht. Im November geht die kreative Rebellion der Verwaltung beim InnovationCamp Anzetteln weiter.

Editor's Note: Was sind „kreativwirtschaftliche Methoden" und was haben sie mit Innovation in der öffentlichen Verwaltung zu tun? Das hat das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes freundlicherweise für uns dargelegt.

Verwaltung gestaltet die formellen Rahmenbedingungen gesellschaftlichen Zusammenlebens. Damit hat die öffentliche Hand die Chance, als Wegbereiterin von Fortschritt und Veränderung zu fungieren, nach denen zunehmend verlangt wird. Dass der Raum zur Innovation nicht nur bei den Bürger*innen liegt, sondern auch die öffentliche Hand selbst den Rahmen für Neues bestimmen kann, wird dabei oft unterschätzt. Nach eigenen Angaben erlebt Verwaltung sich selbst häufig als unzureichend innovativ und in starren Strukturen verhaftet; dem Willen, neue Wege zu gehen, stehen konkrete Probleme wie enormer Fachkräftemangel, insbesondere im IT-Bereich, gegenüber.

Für die Herausforderungen, die Politik und öffentliche Hand bei der Transformation der Verwaltung bewältigen müssen, ist die Kombination aus der Fähigkeit zur Gestaltung, technischen Möglichkeiten der Digitalisierung und einem radikal mensch-zentrierten Ansatz wohl unabdingbar. Um die Stärken von Verwaltung und Bürokratie zu betonen, setzen Akteure*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft vielfältige Impulse. „Wie bekommen wir Menschlichkeit, eine ansprechende Sprache, Wertschätzung, Design, Humor und Identifikation in die Bürokratie?", fasst Theaterregisseurin Leonie Pichler vom Amt für unlösbare Aufgaben die zentrale Fragestellung zusammen. Es geht also um Innovationsprozesse, die weit über Reaktionen auf den digitalen Wandel hinausgehen und besondere Fähigkeiten erfordern.

Ein Amt für unlösbare Aufgaben

Innerhalb des Projekts PHASE XI des Kompetenzzentrums wurden mit relativ einfachen Mitteln erlebbare Beispiele für die Modernisierung des Verwaltungsapparates umgesetzt. Dazu gehörte die Umgestaltung von Hinweisschildern und Informationstexten, das Schaffen einer anderen Raumerfahrung und eine Lange Nacht der Bürokratie, bei der nach 20 Uhr zu DJ-Klängen der Reisepass verlängert werden konnte. Möglich machte dies ein interdisziplinäres Team, bestehend aus einer Theatermacherin, einer Architektin, einer Musikproduzentin und eines Stadtentwicklers, die zusammen das „Amt für unlösbare Aufgaben" (AuA) bildeten. Für sechs Wochen schlug das AuA seine Zelte in der Verwaltung der Stadt Heidelberg auf, analysierte und hinterfragte Strukturen und suchte nach Wegen, die Routinen zu brechen.

Schnell drängten sich erste Fragen auf: Welche neuen Strukturen braucht Verwaltung, um ein Gleichgewicht an ordnenden Regeln und gestaltender Freiheit zu erreichen? Wie können Ressourcen systematisch erschlossen werden? Wie lassen sich neue Formen von Kollaboration – wie z. B. das AuA – dauerhaft in Verwaltungsvorgängen etablieren? Welche neuen Tätigkeitsbereiche sollte es geben? Welche besonderen Fähigkeiten und Qualifikationen werden zukünftig besonders gefragt sein?

Eine unlösbare Aufgabe?

Nach umfassender Analyse von Innen- und Außenwahrnehmung der bürokratischer Prozesse, Expert*innen-Interviews und Social-Media-Analysen der Facebook-Kommentare der Stadt Heidelberg, konnten Gestaltungsspielräumen und Potenziale für die Bürokratie ermittelt werden. Methoden für mehr Partizipation und menschen-zentrierte Gestaltungsmethoden standen dabei im Mittelpunkt.

Konkret wurden folgende Themen und Gestaltungspotenziale identifiziert:

  • Gemeinsame sprachliche Ebene zwischen Verwaltung und Bürger*innen
  • Anerkennender Erfahrungsaustausch
  • Offene, wertschätzende Räume
  • Flexibilität in Personaleinsatzplanung, Mittelverwendung und Zeitgestaltung
  • Beschleunigung von Entscheidungsprozessen
  • Abbau von Vorurteilen

 

Methoden und Ansätze des Amts für unlösbare Aufgaben

Ausgehend von diesen sechs Themen erklärt AuA-Gründerin Leonie Pichler ihre Herausforderung kreativwirtschaftliche Methoden in Verwaltungskontexten anzuwenden: „Wie bekommen wir Menschlichkeit, eine ansprechende Sprache, Wertschätzung, Design, Humor und Identifikation in die Bürokratie? – eine unlösbare Aufgabe?"

Auf dieser Basis wurden in enger Absprache mit den Mitarbeiter*innen der Stadt Heidelberg modellhafte Ansätze entwickelt, um die identifizierten Themenbereiche sinnvoll zu verändern. Anfangs wurde angenommen, dass vor allem digitale kreativwirtschaftliche Methoden wie Design, Softwareentwicklung oder auch Gamification angewandt werden. Doch im weiteren Projektverlauf wurde schnell klar, dass nicht Digitalisierung, sondern Experimente und der Umgang mit unbekannten Projektkomponenten die Kernexpertise ist, die, die Akteur*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft hier einbringen können. „Aber ist nicht der eigentliche Grund, Kreative auf Themen anzusetzen, mit denen sie in ihren eigentlichen Berufen nichts zu tun haben der, dass man überrascht werden möchte? Geht es nicht eben darum, mit kreativen Methoden wie Design Tinking, Rapid Prototyping und dergleichen auf Lösungen zu kommen, die vielleicht niemand erwartet hätte?" – erklärt AuA-Mitglied Matthias Burgbacher zum Projektverlauf.

Mithilfe der kreativwirtschaftlichen Methoden wurden in interdisziplinären Projektteams folgende Ergebnisse erarbeitet.

  • Orientierung und Entlastung: Entwicklung eines Leitfadens

    Am Beispiel der Genehmigung eines Zwischennutzungsprozesses hat das Team zusammen mit der Baubehörde einen Leitfaden erstellt, der den Antragsteller*innen als erste Orientierungshilfe dient und bei den Mitarbeiter*innen der Behörden für Entlastung sorgt. Zusätzlich wurde die Idee formuliert, verschiedene Genehmigungsvorgänge auf einen einzigen persönlichen Termin zu konzentrieren.

  • Digitalisierung: Steuererklärung 2020

    Ein Entwurf für die digitale Steuererklärung der Zukunft wurde erstellt, mit dessen Hilfe Wertschätzung, eine individualisierte Sprache und Transparenz in die Kommunikation zwischen Mensch und Verwaltung gebracht wird. Außerdem wurde angeregt die Elektronische Lohnsteuererklärung nicht ausgerechnet nach einem diebischen, schwarzen Vogel zu benennen.

  • Haltung: Die 10% Utopie

    Wie schaffen wir es, in Berufsumfeldern von Behörden, Ämtern und Verwaltungen eine neue Identifikationsebene mit dem Job zu schaffen und dadurch die persönliche Verantwortung für das Gelingen von Projekten, Anliegen, Anfragen zu stärken? Die 10% Utopie verfolgt das Ziel, dieses Mindset zu befördern und damit auch eine neue Generation für die Arbeit in Behörden zu erschließen. Die Idee ist, 10% der Mittel frei verfügbar zu halten, 10% der Arbeitszeit für Sonderprojekte frei einsetzen zu können, 10% der Zeit den Arbeitsplatz frei wählen zu können. Weitere 10% Regelungen sind denkbar.

  • Wertschätzung: Der Award für bürokratisches Heldentum

    Mit dem Award sollen einmal im Jahr Personen, Fachbereiche oder Kommunen ausgezeichnet werden, die sich in besonderer Weise daran beteiligt haben, möglichst kreativ Lösungen für Probleme und Herausforderungen von Bürger*innen zu finden.

  • Raumgestaltung: Die Architektur der Kommunikation

    Im Rathaus Heidelberg wurde das Amtszimmer der Zukunft als Ort der gegenseitigen Wertschätzung gestaltet. Es wurden Orte für verschiedene Situationen geschaffen, so zum Beispiel ein Sessel mit integriertem Tisch, der durch die Abgeschlossenheit nach drei Seiten Ruhe schafft, um zum Beispiel ein Formular auszufüllen oder ein Tresen mit erhöhten Drehsesseln auf beiden Seiten, der eine Gesprächssituation auf Augenhöhe schafft. Im Rahmen der LaNaBü (Lange Nach der Bürokratie) wurde das umgestaltete Amtszimmer von den Heidelberger*innen getestet und für gut befunden.

  • Image: Kampagne für die Bürokratie

    Mit Postkarten und Plakaten wurde eine Imagekampagne für die Bürokratie gestartet, deren Mitarbeiter*innen täglich mit vielen Vorurteilen und Vorwürfen konfrontiert werden, obwohl sie im Kern außerordentlich gut funktioniert.

  • Bedarfe erkennen: Wann ist eine gute Zeit für Behördengänge

    Am 4. Oktober 2017 wurde die Lange Nacht der Bürokratie erstmals durchgeführt. Für Berufspendler*innen, Nachtschwärmer*innen, Workaholics, Mütter, Väter und alle Heidelberger*innen, die keine Möglichkeit haben, Behördengänge zu den üblichen Öffnungszeiten zu erledigen, öffnete das Bürgeramt Altstadt im Rathaus Heidelberg von 20 bis 23 Uhr seine Türen.

Weiterführendes findet sich im Buch „Amt für unlösbare Aufgaben".

 

What if?

Kultur- und Kreativwirtschaft kann im Prozess des kreativen Hinterfragens und Neudenkens eine wichtige Partnerin sein. Die Kernaufgabe von Verwaltung, gesellschaftliches Zusammenleben zu organisieren und zu modifizieren, heißt auch, an der Gestaltung von Zukunft aktiv teilzuhaben. Und Zukunft gestalten heißt Antworten geben auf die Frage: "What if?" Dazu gilt es, Bestehendes zu hinterfragen, Entscheidungen zu treffen und Veränderung umzusetzen – alles in Ungewissheit in Bezug auf das, was kommt.

Die What-if?-Kompetenz ist genauso wie Erlebnis- und Prozessgestaltung, Gamification, Szenografie und Dramaturgie eine Kernkompetenz der Kultur- und Kreativwirtschaft, durch die sie ihren Impact für Wirtschaft und Gesellschaft generiert. Auch können komplexe Sachverhalten durch die Fähigkeit vieler Kreativschaffender, Ideen in Bildern, Zusammenhänge in Spielen, oder Prozesse in erlebbaren Designs abzubilden, zugänglich gemacht werden. Darüber hinaus begegnen Akteur*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft unvorhergesehenen Herausforderungen mit neu entwickelten Strategien, um diese erfolgreich zu meistern. Sie schaffen geschützte Räume, in denen Experimente durchgeführt, Vermutungen getestet und Anwendungsszenarien erprobt werden. Dadurch werden Risiken minimiert und Handlungsoptionen schnell erprobt. Insofern kann die Branche ein wertvoller Partner sein, um gemeinsam mit Bürger*innen und Verwaltung Instrumente und Methoden zu entwickeln, die die in der Gesellschaft aber auch der Verwaltung vorhandene Innovationskraft und Dynamik als Ressource hebt.

Aus dem Status quo ergibt eine zukunftsweisende Schnittstelle für die Zusammenarbeit von Staat, Verwaltung und Kultur- und Kreativwirtschaft. Die „größte Branche der Welt" kann als Chance für die Kultur- und Kreativwirtschaft betrachtet werden, mit neuen Geschäftsmodellen den digitalen Wandel zu begleiten und den wachsenden gesellschaftlichen Anforderungen zu begegnen. Wird das funktionieren? Die einen sagen, das sei ambitioniert und vielleicht ein wenig naiv – die anderen sagen, das sei visionär und eine enorme Chance für den Innovationsstandort Deutschland.

Die kreative Rebellion der Verwaltung geht weiter:

Mit dem Amt für unlösbare Aufgaben, ein Ideenlab des Projekts Phase XI, gelang ein erstes Experiment kreative Lösungen für bürokratische Prozesse zu implementieren. Das InnovationCamp ANZETTELN von 21. bis 23.11.19 in Mönchengladbach, Wege zur kreativen Bürokratie, möchte daran anknüpfen, anstiften und anzetteln, um gemeinsam Lösungen für die Verwaltung von morgen zu gestalten. Im Rahmen der 2,5-tägigen Veranstaltung erarbeiten Kleingruppen aus Akteur*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft, Verwaltung und anderen Wirtschaftsbereichen unter Anleitung von Expert*innen in einem offenen Innovationsprozess und in mehreren Arbeitsphasen Lösungen für konkrete Fragestellungen für die Verwaltung von morgen:

Wie können kreativwirtschaftliche Methoden für die Verwaltung nutzbar gemacht werden? Wie können Kooperationen zwischen Kultur- und Kreativwirtschaft und Verwaltung die Fachkräfte von morgen für Kommunen und Verwaltung gewinnen? Wie werden Innovationen und bereichsübergreifende Kooperationen als Prinzip in der Verwaltung verstetigt?

Ziel der Arbeitsphasen sind nutzbare Prototypen, die auch nach dem InnovationCamp weiter bearbeitet werden, übertragbar sind oder sogar real umgesetzt werden. Gerahmt wird das Programm durch inspirierende Keynotes und Expert*innen-Runden, die Ausblick geben, welche Potenziale in der Zusammenarbeit mit der Kultur- und Kreativwirtschaft liegen.

Wann? Do, 21.11.2019 um 15:30 Uhr bis Sa, 23.11.2019 um 16:00

Wo? Ehemaliges Klinikum Maria Hilf, Sandradstraße 43, 41061 Mönchengladbach

Zu mehr Informationen und Anmeldung

Direkt zur Anmeldung

Die Teilnahme am InnovationCamp ist kostenlos und nur während der gesamten Veranstaltung möglich. Für Gäste, die von außerhalb anreisen, stehen Hotelzimmer in Mönchengladbach bereit.

Fotos und Text: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes


Veröffentlicht: 15.11.2019