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Wann ist agiles Arbeiten in der Verwaltung zielführend? Eine Entscheidungshilfe

Wann ist agiles Arbeiten in der Verwaltung zielführend? Eine Entscheidungshilfe

von Ines Hölscher und Sophie Hamann

Editor's Note: Der Begriff der Agilität ist allgegenwärtig und der Ruf nach agilen Organisationen wird nicht nur in der Privatwirtschaft, sondern auch im öffentlichen Sektor immer lauter. In unserer Blogreihe setzen wir uns mit der Herkunft und der Bedeutung des Agilitätsbegriffs auseinander, diskutieren die Anwendbarkeit des Konzepts im öffentlichen Sektor und stellen die Lehren aus der Praxis vor, die das DIT (Digital Innovation Team) aus seinen Erfahrungen mit agilem Arbeiten im Behördenkontext zieht.

Hier ein Überblick über alle Beiträge dieser Reihe:

  1. Agilität in der Verwaltung – Neue Herausforderungen benötigen neue Lösungen!
  2. Wann ist agiles Arbeiten in der Verwaltung zielführend? Eine Entscheidungshilfe
  3. Digital Innovation Team (DIT) – Lehren aus der Praxis

Sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Sektor: Agilität scheint das Gebot der Stunde. Dabei entsteht schnell der Eindruck, es handle sich um eine Art »Allheilmittel«, mit dessen Einsatz man auch in der öffentlichen Verwaltung Herausforderungen jeglicher Art begegnen könne. Aber ist immer agil wirklich immer besser? Wann ist agiles Arbeiten in der Verwaltung wirklich zielführend und welche Aufgaben eignen sich für die neue Arbeitsweise?

Agil ist nicht immer sinnvoll

Eine Behörde von einem auf den anderen Tag in eine agile Organisation transformieren zu wollen wird scheitern – und das ist auch gut so. Die öffentliche Verwaltung hat in erster Linie die ihr zugeordneten Aufgaben der Daseinsvorsorge und der Ordnungs- und Abgabenverwaltung unter der Einhaltung grundlegender Bürokratieprinzipien (bspw. der Schriftlichkeit und Aktenmäßigkeit) rechtmäßig zu erfüllen. Organisationseinheiten und deren Mitarbeitende, die daraus resultierende Routinetätigkeiten effizient und fehlerfrei erledigen, sind daher wichtig. Diese Aufgaben eignen sich allerdings nur bedingt zur Umsetzung agiler Methoden. Andere Aufgaben in der Verwaltung eignen sich dagegen durchaus für eine agile Arbeitsweise. Insbesondere dann, wenn die Situation komplex ist und nicht auf Routinen zurückgegriffen werden kann.

Komplexitätsgrad einer Aufgabe als Entscheidungshilfe

Eine Hilfestellung bei der Entscheidung, wann sich Aufgaben und Projekte für ein agiles Projektmanagement eignen, bietet die »Stacey-Matrix«. Die Matrix dient der Einschätzung des Komplexitätsgrades von Aufgaben und Projekten, der von zwei Variablen bestimmt wird: der Klarheit der Zielsetzung und der Klarheit des Wegs zur Umsetzung dieses Ziels.

Je einfacher eine Entscheidungsfindung ist, desto eher lassen sich die Aufgabe oder das Projekt mit klassisch linearen Ansätzen lösen. Mit der Unklarheit des Ziels und des Wegs dorthin steigt auch der Komplexitätsgrad einer Entscheidung. Je komplizierter die Entscheidungssituation, desto eher sind agile Methoden zur erfolgreichen Umsetzung der Aufgabe oder des Projekts zielführend.

Abbildung 1: Stacey-Matrix (Quelle: digitalakademie-bw.de)

Von einfachen, komplizierten, komplexen und chaotischen Situationen – Beispiele aus der Verwaltung

Eine Situation wird in dem Modell als »einfach« bewertet, wenn sowohl das Ziel als auch der Weg dorthin klar sind. In der Verwaltungspraxis sind das typischerweise klassische Routineaufgaben, bei denen auf einen bestimmten Stimulus eine bestimmte Reaktion, d. h. ein gleichmäßiges Handlungsmuster folgt. Beispiele sind hier die Erstellung von Bescheiden und andere Sachbearbeitungstätigkeiten.

In einer »komplizierten« Entscheidungssituation ist das Ziel und die Umsetzungsstrategie zumindest teilweise klar, sodass auf Erfahrungswerte zurückgegriffen werden kann. Ein Beispiel aus der Verwaltungspraxis könnte hier die Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie für die Behörde sein. Hier sind in der Regel klassische Projektmanagementansätze wie das Wasserfall-Modell ausreichend.

Eine Situation ist »chaotisch«, wenn Ziel und Weg völlig unklar sind. In einer solchen Situation sieht man sich typischerweise mit laufend ändernden Anforderungen konfrontiert und ist daher zunächst gezwungen »auf Sicht zu fahren«. Jüngst erlebte die deutsche Verwaltung in der Corona-Pandemie, insbesondere zu Beginn, eine solche Situation. Zunächst wurden auf kommunaler, Länder- und Bundesebene eine Reihe Ad-hoc-Maßnahmen (z. B. Personalaufbau in den kommunalen Gesundheitsämtern, weitestgehende Umstellung auf Homeoffice in den Behörden) durchgeführt, um adäquat auf die dynamische Situation reagieren zu können.

Bei einer »komplexen Situation« handelt es sich um eine Situation, in der die Zielsetzung nicht klar bestimmbar ist, da sie sich oft ändert und/oder die Umsetzung unklar und nicht vorhersehbar ist. Als eine solche Situation ist beispielsweise die momentane Lage in der Corona-Pandemie einzuschätzen. Aber auch die Umsetzung des OZG (Onlinezugangsgesetz), das ein Zusammenwirken verschiedener Akteure auf unterschiedlichen Ebenen erfordert, ist ein Beispiel für eine komplexe Situation aus der Verwaltungspraxis, die sich für ein agiles Vorgehen eignet.

In Behörden treten meist Aufgaben und Projekte verschiedenen Typs auf, wodurch beide Arbeitsweisen, die klassisch-lineare und die agile, notwendig sind. Diese Fähigkeit, gleichzeitig effizient und flexibel bzw. agil zu sein, wird in der Managementliteratur als »Beidhändigkeit« diskutiert und beschreibt treffend die heutigen Anforderungen an die öffentliche Verwaltung.

Das Projektziel bestimmt die agile Methode

Ist das passende Projekt gefunden, gilt es, darüber zu entscheiden, welche agile Arbeitsmethode für das Projekt geeignet ist. Über die Jahre hat sich eine ganze Reihe an agilen Methoden herausgebildet. Bekannte Vertreter sind insbesondere Kanban, Design Thinking und Scrum. Für Produkt- oder Serviceentwicklung bietet sich insbesondere Design Thinking an, eine Innovationsmethode, die besonderen Fokus auf die Nutzerperspektive legt. Im Kontext der öffentlichen Verwaltung eignet sie sich daher beispielsweise, um Bürger:innen in den Entwicklungsprozess von Angeboten miteinzubeziehen und ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen. Die Kanban-Methode ist besonders vielseitig einsetzbar und wird häufig zur Organisation von Projekten verwendet. Das Projekt wird dabei in mehrere Einheiten unterteilt und auf einem sogenannten Kanban-Board abgebildet. Kategorien wie »To-Do«, »in Arbeit« oder »erledigt« helfen dabei, den aktuellen Arbeitsstand zu dokumentieren. Kanban und Design Thinking dürften in der öffentlichen Verwaltung recht niedrigschwellig einsetzbar sein, da diese Methoden sich punktuell und bedarfsorientiert einsetzen lassen. Im Gegensatz zur Scrum-Methode sind Änderungen von Führungs- und Teamstrukturen nicht zwingend erforderlich. Bei Scrum wird zu jedem Vorgang ein Umsetzungsteam gebildet, das innerhalb selbst gewählter Zeitintervalle (sogenannter Sprints) diesen Vorgang bearbeitet. Feste Abstimmungstermine geben dem Team den Arbeitsrhythmus vor, wie einzelne Aufgaben erledigt werden, steht den Teammitgliedern allerdings frei. Am Ende eines jeden Sprints wird das Produkt dem Auftraggeber (Product Owner) vorgelegt, sein Feedback bildet die Grundlage zu weiteren Überarbeitungen.

Iteration als Grundprinzip agiler Methoden

Eine grundlegende Gemeinsamkeit agiler Methoden ist die kontinuierliche Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Arbeitsergebnisse. Diese iterative Herangehensweise folgt stets den wiederkehrenden Schritten: Planen - Überprüfen - Anpassen. Dabei spielen Feedbackschleifen, also Rückmeldungen, beispielsweise von Auftrageber:innen, Interessensgruppen oder den Mitarbeitenden selbst, eine wichtige Rolle. Gesammelte Erfahrungen werden so schnell ausgewertet und in den weiteren Prozess integriert.

Abbildung 2: Produkte und Projekte werden in einem iterativen Vorgehen, basierend auf Feedbackschleifen, entwickelt (Quelle: agile-academy.com)

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Behörden liegen wichtige, die Stabilität des Rechtsstaats sichernde Prinzipien zugrunde, die einer agilen Arbeitsweise entgegenstehen können. Die zu erledigenden Aufgaben und Projekte eignen sich daher nur zum Teil zur Anwendung agiler Methoden. Je unklarer das Ziel und der Weg dorthin allerdings sind, desto eher sind agile Methoden anwendbar und erforderlich. Oft sind es dabei kulturelle – und nicht rechtliche – Rahmenbedingungen, die dem agilen Arbeiten in der öffentlichen Verwaltung entgegenstehen. Die Hemmschwelle abzubauen kann gelingen, indem Mitarbeitende und Führungskräfte an die neue Arbeitsweise herangeführt werden und diese ganz praktisch ausprobieren können, wie unser dritter Blogbeitrag zeigt.

Hier geht es zum nächsten Beitrag:
Digital Innovation Team (DIT) – Lehren aus der Praxis


Veröffentlicht: 27.08.2020